Pflichten von Geschäftsführungsorganen

Die verschärfte Verantwortung: Rechtliche und organisatorische Pflichten der Geschäftsführung in der Krise

 

Einleitung: Das rechtliche Koordinatensystem in der Schieflage

In der stabilen Phase eines Unternehmens ist das Handeln der Geschäftsführung durch die sogenannte Business Judgment Rule geprägt. Diese gewährt einen weiten unternehmerischen Spielraum, solange Entscheidungen auf Basis angemessener Informationen und zum Wohle der Gesellschaft getroffen werden. Sobald sich jedoch Schwierigkeiten abzeichnen, verdichtet sich dieser Spielraum zu einem engen Geflecht aus spezifischen Pflichten der Geschäftsführung in der Krise.

Die Rechtslage in Deutschland sieht vor, dass die Geschäftsführung in der Krise eine Doppelrolle einnimmt: Sie bleibt einerseits dem Gesellschaftsinteresse verpflichtet, rückt aber andererseits zunehmend in eine treuhänderische Stellung gegenüber der Gläubigergesamtheit. Dieser Artikel analysiert die rechtlichen Leitplanken, innerhalb derer sich Geschäftsführer (GmbH) und Vorstände (AG) bewegen müssen, um ihren gesetzlichen Anforderungen gerecht zu werden.

I. Die präventive Überwachungspflicht nach § 1 StaRUG

Seit der Einführung des Gesetzes über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) im Jahr 2021 ist die Früherkennung von Krisen keine bloße betriebswirtschaftliche Empfehlung mehr, sondern eine kodifizierte Rechtspflicht.

1. Der gesetzliche Tatbestand

Gemäß § 1 Abs. 1 StaRUG müssen Geschäftsleiter von juristischen Personen fortlaufend über Entwicklungen wachen, die den Fortbestand des Unternehmens gefährden könnten. Die rechtliche Relevanz dieser Norm liegt in ihrer Signalwirkung: Krisenprävention ist nun integraler Bestandteil der allgemeinen Sorgfaltspflicht eines ordentlichen Geschäftsleiters.

2. Rechtliche Anforderungen an das Überwachungssystem

Das Gesetz verlangt kein perfektes System, aber ein angemessenes. Die Intensität der Überwachung muss mit der Komplexität des Unternehmens und der Schwere der Krisenanzeichen skalieren. Rechtlich gefordert ist:

  • Die Einrichtung von Informationsflüssen, die bestandsgefährdende Risiken direkt an die Entscheidungsebene melden.

  • Die fortlaufende (nicht nur stichtagsbezogene) Analyse der Liquiditäts- und Ertragslage.

  • Die Verpflichtung, bei Identifikation von Krisenfaktoren unverzüglich geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

II. Gesellschaftsrechtliche Pflichten bei Kapitalverlust

Neben den allgemeinen Krisenpflichten bestehen spezifische Pflichten, die an das Eigenkapital der Gesellschaft anknüpfen. Hier greifen die Informationsrechte der Gesellschafter als rechtliches Korrektiv.

1. Die Einberufungspflicht nach § 49 Abs. 3 GmbHG

Stellt die Geschäftsführung fest, dass die Hälfte des Stammkapitals verloren ist, muss sie unverzüglich eine Gesellschafterversammlung einberufen. Die Rechtsprechung legt den Begriff „unverzüglich“ sehr streng aus – meist bleibt der Geschäftsführung nach Feststellung des Verlusts nur ein Zeitraum von wenigen Wochen für die Vorbereitung und Einberufung.

2. Die Anzeigepflicht nach § 92 Abs. 1 AktG

Wie die GmbH-Geschäftsführung trifft den Vorstand einer Aktiengesellschaft die Pflicht, bei einem Verlust in Höhe der Hälfte des Grundkapitals die Hauptversammlung einzuberufen. Rechtlich dient dies der Warnfunktion: Die Eigentümer müssen über das Risiko informiert werden, damit sie über Sanierungsmaßnahmen oder die Auflösung der Gesellschaft entscheiden können. Ein Unterlassen dieser Anzeige stellt eine schwerwiegende Verletzung der Organpflichten dar.

III. Die Treuepflichten gegenüber der Gesellschaft und den Gläubigern

In der Krise kollidieren oft die Interessen der Gesellschafter (Risikobereitschaft zur Rettung) mit denen der Gläubiger (Sicherung der verbliebenen Masse).

1. Die Verschiebung des Fokus

Rechtlich wird diskutiert, ab wann die Geschäftsführung die Interessen der Gläubiger vorrangig behandeln muss. Spätestens mit Eintritt der materiellen Insolvenzreife d.h. Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung wird die Masseerhaltung zur obersten Rechtspflicht. Jede Handlung, die das Gesellschaftsvermögen unberechtigt schmälert, steht dann im Widerspruch zu den gesetzlichen Anforderungen.

2. Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Gläubiger

Ein wesentlicher rechtlicher Grundsatz in der Krise ist das Verbot der Gläubigerbevorzugung. Die Geschäftsführung darf nicht eigenmächtig entscheiden, einen „befreundeten“ Lieferanten voll zu befriedigen, während andere Gläubiger leer ausgehen. Rechtlich gefordert ist ein strenger Pro-rata-Ansatz (proportionale Verteilung), sofern Zahlungen überhaupt noch zulässig sind.

IV. Die rechtliche Ausgestaltung der Insolvenzantragspflicht

Die Pflicht zur Stellung des Insolvenzantrags gemäß § 15a InsO ist die wohl prägnanteste rechtliche Zäsur für jedes Geschäftsführungsorgan.

1. Die Adressaten der Pflicht

Die Antragspflicht trifft jedes Mitglied des vertretungsberechtigten Organs persönlich. Rechtlich ist es unerheblich, ob eine interne Geschäftsverteilungsordnung existiert, die einem Mitglied die „Finanzhoheit“ zuweist. Die Überwachungspflicht bezüglich der Insolvenzreife ist eine nicht delegierbare Kernpflicht jedes Geschäftsführers und Vorstandsmitglieds.

2. Ziel der Insolvenzantragspflicht

Durch die Pflicht in §15a InsO soll die rechtzeitige Einleitung des Insolvenzverfahrens sichergestellt werden, sodass keine insolvenzreife Gesellschaft ohne persönlich haftenden Gesellschafter fortgeführt wird.

3. Das Zeitmanagement unter rechtlichem Druck

Das Gesetz gewährt bei Vorliegen eines Insolvenzgrundes eine Höchstfrist zur Antragstellung (drei bzw. sechs Wochen). Rechtlich entscheidend ist jedoch: Diese Frist darf nur ausgeschöpft werden, wenn in dieser Zeit substanzielle Sanierungsbemühungen mit Aussicht auf Erfolg betrieben werden. Ruhen die Bemühungen oder sind sie aussichtslos, muss der Antrag sofort gestellt werden. Das Zögern innerhalb der Frist ohne Sanierungsfortschritt ist rechtlich bereits als pflichtwidrig einzustufen.

4. Formale Anforderungen an den Antrag

Ein rechtssicherer Antrag erfordert die Vorlage zahlreicher Verzeichnisse (§ 13 InsO). Die Geschäftsführung ist rechtlich verpflichtet, diese Unterlagen mit höchster Sorgfalt und Vollständigkeit zu erstellen. Fehlerhafte oder lückenhafte Angaben können als Verletzung der Mitwirkungspflichten gegenüber dem Insolvenzgericht gewertet werden. Der Antrag ist beim örtlich und sachlich zuständigen Amtsgericht einzureichen.

V. Das gesetzliche Zahlungsverbot und die Sorgfalt des Geschäftsleiters

Nach Eintritt der Insolvenzreife ordnet § 15b InsO ein striktes Zahlungsverbot an. Dies ist eine der rechtlich komplexesten Normen im Sanierungsrecht.

1. Der Tatbestand des Zahlungsverbots

Grundsätzlich sind alle Zahlungen untersagt, die die Insolvenzmasse schmälern. Doch das Gesetz kennt eine wichtige Ausnahme: Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind.

2. Rechtlich zulässige Zahlungen

Hierunter fallen Zahlungen, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs zwingend erforderlich sind, um einen noch größeren Schaden von der Masse abzuwenden. Dazu zählen rechtlich oft:

  • Löhne und Gehälter (um die Arbeitskraft zu erhalten).

  • Mieten und Energiekosten (um den Standort zu sichern).

  • Zahlungen im Rahmen von Bargeschäften (Leistung gegen unmittelbare Gegenleistung).

Die rechtliche Herausforderung besteht darin, in jeder Sekunde zu entscheiden, welche Zahlung „systemrelevant“ für die Sanierung ist und welche gegen das Masseerhaltungsgebot verstößt.

VI. Die Dokumentationspflicht als rechtliche Obliegenheit

In der juristischen Aufarbeitung einer Krise gilt der Grundsatz: Was nicht dokumentiert ist, hat rechtlich nicht stattgefunden.

1. Beweislastumkehr und Dokumentation

In vielen Bereichen der Organhaftung muss die Geschäftsführung beweisen, dass sie ihre Pflichten erfüllt hat. Eine lückenlose Dokumentation der Entscheidungsgrundlagen ist daher keine operative Empfehlung, sondern eine rechtliche Notwendigkeit zur Exkulpation.

2. Anforderungen an die Dokumentationstiefe

Rechtlich gefordert ist die Protokollierung von:

  • Krisensitzungen und deren Teilnehmern.

  • Eingeholtem Expertenrat (Wirtschaftsprüfer, Anwälte).

  • Der Abwägung von Pro- und Contra-Argumenten bei Sanierungsentscheidungen.

  • Der laufenden Überprüfung der Liquiditäts- und Prognoserechnungen.

VII. Die Pflicht zur Einbeziehung externer Expertise

Die Rechtsprechung stellt klar: Ein Geschäftsführer muss kein Allround-Experte sein, aber er muss seine Grenzen kennen.

1. Die Erkundigungspflicht

Befindet sich ein Unternehmen in einer komplexen rechtlichen oder finanziellen Situation, ist das Organ rechtlich verpflichtet, spezialisierten Rat einzuholen. Wer versucht, eine drohende Insolvenz ohne juristischen Beistand oder Sanierungsexperten „durchzusteuern“, handelt nach ständiger Rechtsprechung oft bereits deshalb pflichtwidrig, weil er die gebotene Sorgfalt bei der Informationsbeschaffung missachtet.

2. Auswahl und Überwachung der Berater

Die Rechtspflicht endet nicht mit der Mandatierung eines Beraters. Die Geschäftsführung muss den Berater sorgfältig auswählen, ihn vollständig informieren und die Arbeitsergebnisse einer Plausibilitätskontrolle unterziehen. Rechtlich bleibt die Letztverantwortung für die Entscheidung immer beim Organ.

VIII. Zusammenfassung: Das rechtliche Pflichtenheft

Die rechtliche Verantwortung in der Krise lässt sich in einem Katalog zentraler Pflichten zusammenfassen:

  1. Überwachungspflicht: Fortlaufendes Monitoring bestandsgefährdender Risiken (§ 1 StaRUG).

  2. Informationspflicht: Unverzügliche Benachrichtigung der Gesellschafter bei Kapitalverlust (§ 49 GmbHG / § 92 AktG).

  3. Sanierungspflicht: Aktives Ergreifen von Maßnahmen zur Abwendung der Insolvenz.

  4. Antragspflicht: Rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags bei Vorliegen der Gründe (§ 15a InsO).

  5. Masseerhaltungspflicht: Beachtung des Zahlungsverbots zum Schutz der Gläubiger (§ 15b InsO).

  6. Dokumentationspflicht: Sicherstellung der Nachweisbarkeit aller Sorgfaltsbemühungen.

Die Wahrung dieser rechtlichen Standards ist das einzige Mittel, um das Unternehmen in der Krise sicher zu führen und die Integrität der Geschäftsführungsorgane zu wahren. Die rechtliche Komplexität der Krise erfordert eine Abkehr vom „Prinzip Hoffnung“ hin zu einer faktengestützten, rechtlich fundierten Entscheidungskultur.

 

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