Insolvenzverschleppung – Was passiert, wenn kein Insolvenzantrag gestellt wird?

Wie bereits im Beitrag zur Insolvenz im Unternehmen erwähnt, besteht die Verpflichtung zur Stellung eines Insolvenzantrages, wenn das Unternehmen hierfür reif ist. Unterbleibt die Antragstellung hingegen oder wird sie nicht rechtzeitig bzw. nicht korrekt durchgeführt, so ergeben sich hieraus nicht nur zivilrechtliche Konsequenzen (Haftung), sondern auch strafrechtliche. Man spricht dann von der sog. Insolvenzverschleppung.

Welche zivilrechtlichen Folgen ergeben sich aus einer Insolvenzverschleppung?

Die zentrale Rolle bei den zivilrechtlichen Folgen einer Insolvenzverschleppung bildet die deliktische Haftung der §§ 823 ff. BGB. Ein Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB erfordert stets die Verletzung eines Schutzgesetzes. An diesem Punkt kommt § 15a InsO ins Spiel: die Norm, die eigentlich die Pflicht zur Antragstellung statuiert, ist zugleich ein solches Schutzgesetz.

Versäumt die antragsverpflichtete Person also den rechtzeitigen oder korrekten Antrag zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens, erwächst daraus die Verpflichtung zum Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB (sog. Insolvenzverschleppungshaftung). Die Insolvenzverschleppung i.S.d. § 15a InsO gilt dabei als Sonderdelikt, weshalb die Haftung i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB nur möglich ist, wenn der Täter tatsächlich nach § 15a InsO zur Antragstellung verpflichtet ist. Ferner handelt es sich hierbei um ein Dauerdelikt. Die Vorschrift wird also über den gesamten Zeitraum verletzt, in dem der Eröffnungsantrag trotz Verpflichtung hierzu nicht gestellt wird.

Grundsätzlich schützt die Haftung aus Delikt nicht das Vermögen als solches – was also schützt die Insolvenzverschleppung?

Die Insolvenzverschleppung bildet die Ausnahme von diesem Grundsatz. Es handelt sich hierbei um eine Haftung für reine Vermögensschäden. Die Vorschrift bezweckt den Schutz der Vermögensinteressen von Alt- und Neugläubigern vor Gefahren, die sich aus der Fortführung einer materiell insolventen Gesellschaft ergeben können.

Zum Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO ist nur derjenige berechtigt, der tatsächlich einen Schaden durch die Insolvenzverschleppung erlitten hat. Eine Haftung aus Delikt erfordert dabei stets das Vorliegen einer schuldhaften Verletzung des jeweiligen geschützten Rechtsguts. Hier ist jedoch Vorsicht geboten: Im Falle der Insolvenzverschleppung muss sich der Vorsatz bzw. die Fahrlässigkeit lediglich auf die Verletzung der Antragspflicht beziehen. Nachdem es sich hierbei um ein sog. Gefährdungsdelikt handelt, muss sich das Verschulden nicht auch auf die Verursachung eines Vermögensschadens beziehen. Wer also ohne Schädigungsabsicht, aber in voller Kenntnis (bzw. Kennenmüssens) seiner Antragsverpflichtung selbiger nicht nachkommt und dabei einen Gläubiger schädigt, der ist diesem zum Ersatz dieses Schaden nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO verpflichtet.

In welcher Höhe besteht ein Anspruch aus der Insolvenzverschleppungshaftung?

In welcher Höhe der Täter haftbar gemacht werden kann, richtet sich danach, ob es sich um einen Alt- oder einen Neugläubiger handelt. Neugläubiger können ihren gesamten Individualschaden geltend machen (sog. negatives Interesse). Hingegen besteht für Altgläubiger nur ein Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses, also eines Quotenschadens.

Beispiel für einen Quotenschaden: Die Verbindlichkeiten der A-GmbH betragen 1.000.000 €. Davon fallen 500.000 € an einen Großgläubiger, B-Bank, zu. Bei Eintritt der Überschuldung beträgt das Vermögen der A lediglich noch 200.000 €. Nach Abzug der Verfahrenskosten verbleiben zur Verteilung an die Gläubiger noch 100.000 €. Die zu erzielende Quote beträgt 10% (= 100.000/1.000.000). Hiernach stünde der B ein Anspruch auf 50.000 € zu.

Der Geschäftsführer G der A-GmbH erwartet jedoch fahrlässig einen Großauftrag, durch den die Gesellschaft abgesichert wäre. Der erhoffte Auftrag bleibt dann aber aus. Durch die Deckung der laufenden Kosten verringert sich das Gesellschaftsvermögen währenddessen auf 15o.000 €. Als G erkennt, sich mit der finanziellen Situation abfindet, stellt er den Insolvenzantrag.

Die masseabhängigen Verfahrenskosten betragen zwar nur noch etwa 80.000 €. Allerdings ist damit auch das Vermögen zur Befriedigung der Insolvenzgläubiger auf 70.000 € und die Quote auf 7 % gesunken. Der B-Bank ist damit ein Schaden in Höhe von 30 % der ursprünglichen Erwartung entstanden. G haftet für diesen Schaden nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a Abs. 1 InsO. Die B, die in der Folge lediglich noch 35.000 € erhält, kann die übrigen 15.000 € vom Geschäftsführer G verlangen.

Die zivilrechtliche Haftung aus der Insolvenzverschleppung kann daher für die Antragsverpflichteten ein sehr hohes finanzielles Risiko darstellen, welchem durch einen rechtzeitigen Insolvenzantrag entgegengewirkt werden sollte.

Gibt es noch andere Haftungsnormen, die es im Rahmen der Insolvenzverschleppung zu beachten gilt?

Neben der Insolvenzverschleppungshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO kommt außerdem eine Haftung wegen sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB in Betracht. Auch hier gilt es aufmerksam zu sein, da nicht lediglich Geschäftsführer oder andere zur Antragstellung verpflichtete Vertretungsorgane herangezogen werden können. Die Haftung aus § 826 BGB kann vielmehr alle Personen treffen, denen die Insolvenzreife der betroffenen Gesellschaft bekannt ist.

Häufig werden die Geschäfte einer Gesellschaft trotz Zahlungsunfähigkeit fortgeführt. Der Geschäftsabschluss stellt dann tatbestandlich regelmäßig einen Betrug nach § 263 StGB dar, nachdem die empfangenen Leistungen nicht bezahlt werden können. Der strafrechtliche Betrug ist ebenfalls Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, weshalb sich ein Täter hier ebenfalls einer zivilrechtlichen Haftung ausgesetzt sieht.

Ist die Insolvenzverschleppung auch strafrechtlich relevant?

Wie bereits angedeutet bestehen nicht nur die strengen zivilrechtlichen Folgen einer Insolvenzverschleppung. Diese steht in Deutschland zudem unter Strafe, vgl. § 15a Abs. 4, 5 InsO. Wer also vorsätzlich oder fahrlässig eine Insolvenzverschleppung begeht, macht sich nicht nur haft- sondern sogar strafbar.

Stellt ein Antragspflichtiger den Eröffnungsantrag trotz Antragspflicht nicht, nicht rechtzeitig oder unrichtig, so liegt ein Fall der Insolvenzverschleppung vor. Ein Eröffnungsantrag gilt dabei als rechtzeitig gestellt, wenn dies ohne schuldhaftes Zögern nach dem Eintritt eines Insolvenzgrundes geschah. Die gesetzlich vorgesehene Frist von bis zu drei Wochen gilt daher nicht zwingend in jedem Fall, da der Antrag unverüglich zu stellen ist. Zusätzliche Voraussetzung für eine Strafbarkeit wegen eines unrichtig gestellten Eröffnungsantrags ist die rechtskräftige Abweisung des Antrags als unzulässig, vgl. § 15a Abs. 6 InsO.

Dem Täter droht hiernach nicht nur eine Geldstrafe, vielmehr besteht das Risiko einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren.

Wirkt sich die Coronavirus-Pandemie oder die Energiekrise auf die Insolvenzverschleppung aus?

Zahlreiche Unternehmen hatten wegen der Ausbreitung des Coronavirus und den damit verbundenen Lockdowns und Grenzschließungen mit Auftragseinbrüchen und Rohstoffknappheit zu kämpfen, da die Zulieferung gar nicht oder nur sehr erschwert möglich war. In der Folge wandelte sich die wirtschaftliche Lage deutscher Unternehmen und diese Umsatzeinbußen drängten viele der Betroffenen in die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung und damit in die Insolvenzreife.

Diese Entwicklung zog eine Rechtsänderung im Bereich des Insolvenzrechts nach sich: die Insolvenzantragspflicht wurde mehrfach ausgesetzt, um betroffene Unternehmen zu schützen und deren Fortbestand gewährleisten zu können. Mit Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. April 2021 ging eine Aussetzung der Insolvenzverschleppung einher.

Aktuell besteht hinsichtlich der Antragspflicht wieder Normalität. Die jüngsten Entwicklungen der Energiekrise schürte die Debatte um eine erneute Änderung des Insolvenzrechts in der Politik wieder an: Justizminister Marco Buschmann möchte den Prognosezeitraum für die Überschuldungsprüfung von zwölf auf vier Monate verkürzen. Dies ermöglicht es überschuldeten, aber noch zahlungsfähigen Unternehmen vor einem Insolvenzeröffnungsantrag zu schützen, wenn dessen Fortbestand für vier Monate hinreichend wahrscheinlich ist.

Dies wäre jedoch nur ein kleiner Trost. Für bereits zahlungsunfähige Unternehmen bestünde die Antragspflicht weiterhin uneingeschränkt und das Risiko einer Insolvenzverschleppung besteht weiterhin.

Wie kann man den zivil- und strafrechtlichen Folgen einer Insolvenzverschleppung entgehen?

Die Gefahr einer Insolvenzverschleppung kann nur durch eine laufende Überwachung einer möglichen Insolvenzreife gebannt werden. Dies gehört wohl zu den wesentlichen Pflichten der Vertretungsorgane. Insbesondere in Krisensituationen – egal, ob selbstverschuldet oder aus externen Gründen wie der Energiekrise – gilt es das Vorliegen eines Insolvenzgrundes kontinuierlich zu überprüfen. Es ist ratsam sich dabei durch einen steuerlichen und/oder anwaltlichen Berater begleiten zu lassen.

Zusammenfassung

Im Bereich des Insolvenzrechts ist stets große Vorsicht geboten. Durch Unachtsamkeit rutscht man als Beteiligter schnell in eine strenge zivilrechtliche Haftung oder sieht sich der Strafverfolgung ausgesetzt.

Gerne beraten wir Sie zu diesem Thema und prüfen, ob in Ihrem Unternehmen Insolvenzgründe vorliegen. Im besten Fall begleiten und beraten wir Sie bei dem Weg aus der Krise oder und gestalten die laufende Beratung so, dass es gar nicht erst zur Insolvenzreife kommt. Hier gilt der Satz „Vorsicht ist besser als Nachsicht“ ganz besonders.

Jan Köster

Rechtsanwalt Jan Köster ist seit 2009 Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht seit 2007 Fachanwalt für Steuerrecht.
Die kanzleiköster ist eine auf das Gesellschaftsrecht spezialisierte Boutique-Kanzlei in Münchens Museums- und Universitätsviertel Maxvorstadt.