Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 8. Juli 2025 (Az. II ZR 165/23) eine weitreichende Entscheidung zur Haftung ausgeschiedener Geschäftsführer getroffen.
Kern der Entscheidung:
Ein Geschäftsführer bleibt auch nach seinem Ausscheiden für Schäden verantwortlich, wenn diese auf Pflichtverletzungen während seiner Amtszeit zurückzuführen sind.
Diese Rechtsprechung verschärft die Haftungsrisiken für GmbH-Geschäftsführer erheblich – insbesondere in Fällen von Insolvenzverschleppung oder betrügerischen Schneeballsystemen.
Hintergrund des Falls: Schneeballsystem mit Spätfolgen
Ein ehemaliger Geschäftsführer einer Unternehmensgruppe, die sich auf den Vertrieb und die Verwaltung von Containern spezialisierte, hatte über Jahre ein Schneeballsystem mitbetrieben, das unweigerlich in die Insolvenz führte. Nach seiner Abberufung investierten neue Anleger weiterhin Kapital – Geld, das später beim Zusammenbruch verloren ging.
Ein Anleger klagte gegen die Alleinerbin des ehemaligen Geschäftsführers auf Schadensersatz. Während die Vorinstanzen eine Haftung nur für vorherige Schäden anerkannten, verneinten sie eine Verantwortung für spätere Verluste.
Der Fall landete beim Bundesgerichtshof – mit einem für die Praxis bedeutsamen Ergebnis.
Haftung ausgeschiedener Geschäftsführer – selten, aber nicht ausgeschlossen
Grundsätzlich sind Fälle, in denen ein ausgeschiedener Geschäftsführer oder Gesellschafter noch für spätere Schäden haftet, echte Ausnahmefälle.
Im GmbH-Recht kann eine solche Haftung insbesondere nach § 43 GmbHG in Betracht kommen, wenn der Geschäftsführer während seiner Amtszeit Pflichten wie die Verschwiegenheits- oder Treuepflicht verletzt hat (vgl. MHLS/Ziemons, GmbHG, 4. Aufl. 2023, § 43 Rn. 48).
Eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 15a InsO setzt voraus, dass Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung bereits vor dem Ausscheiden bestand und der Geschäftsführer es pflichtwidrig unterlassen hat, rechtzeitig einen Insolvenzantrag zu stellen.
Daneben kommt unter engen Voraussetzungen auch eine deliktische Haftung nach § 826 BGB (vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) in Betracht. Hierfür müssen jedoch Vorsatz und Sittenwidrigkeit eindeutig nachweisbar sein. Außerdem ist erforderlich, dass der ausgeschiedene Geschäftsführer kausal an dem schädigenden Ereignis mitgewirkt hat – eine bloße frühere Organstellung genügt nicht.
BGH-Urteil: Haftung endet nicht automatisch mit dem Ausscheiden
Der BGH stellte mit dem Urteil klar:
Die Verantwortlichkeit eines Geschäftsführers endet nicht automatisch mit seiner Abberufung.
Kernaussagen des Gerichts
- 1. Haftung trotz Ausscheidens:
Die Richter betonen, dass ein ehemaliger Geschäftsführer auch dann haftet, wenn die schädigenden Folgen erst nach seinem Ausscheiden eintreten. Schafft er während seiner Amtszeit eine fortdauernde Gefahrenlage – etwa indem er trotz offensichtlicher Insolvenzreife keinen Insolvenzantrag stellt und den Geschäftsbetrieb künstlich aufrechterhält –, kann er gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO für sämtliche Folgeschäden verantwortlichgemacht werden. Die Haftung knüpft also nicht an den Zeitpunkt des Schadenseintritts an, sondern an die vorherige Pflichtwidrigkeit. - 2. Kein Haftungsausschluss durch Rücktritt:
Ein bloßer Wechsel in der Geschäftsführung befreit den früheren Geschäftsführer nicht automatisch von seiner Verantwortung. Der Rücktritt wirkt nicht wie ein juristischer Schnitt, der sämtliche Haftungsrisiken beendet. Vielmehr bleibt der ehemalige Geschäftsführer so lange in der Pflicht, bis die von ihm verursachten Risiken vollständig beseitigt wurden oder deren Fortwirken ausgeschlossen werden kann. Das bedeutet: Wenn ein Nachfolger die Situation nur übernimmt, aber nicht entschärft, bleibt der Vorgänger weiterhin in der Haftungsrisikosphäre. - 3. Deliktische Anspruchsgrundlage (§ 826 BGB):
Besonders scharf fällt die Haftung aus, wenn vorsätzlich sittenwidrig gehandelt wurde. Dazu gehören etwa Täuschungen, die bewusste Aufrechterhaltung betrügerischer Geschäftsmodelle oder Manipulationen zum Nachteil von Gläubigern. In solchen Fällen kommt eine persönliche und gesamtschuldnerische Haftung auch nach dem Ausscheiden in Betracht – und zwar unabhängig davon, ob die deliktische Handlung noch während der Geschäftsführertätigkeit oder erst später wirkt. Der BGH unterstreicht damit, dass schwerwiegendes Fehlverhalten nicht durch formale Organwechsel „abgewaschen“ werden kann.
Damit stellte der BGH klar: Ein Rücktritt ist kein Freibrief.
Die Gerichte müssen künftig prüfen, ob die Kausalitätskette zwischen Fehlverhalten und Schaden wirklich durchbrochen wurde.
Praxisnahes Beispiel: Der Ponzi-Betrug als Haftungsfalle
Ein anschauliches Beispiel liefert ein typisches Ponzi-System (Schneeballsystem):
Charles Ponzi – Namensgeber des Schneeballsystems
Der Italiener Charles Ponzi gilt als historischer Namensgeber und Prototyp des sogenannten Schneeballsystems. („Ponzi Scheme“). Im Jahr 1920 versprach er Anlegern in den USA, innerhalb von 45 Tagen eine Rendite von 50 % zu erzielen – angeblich durch Arbitragegeschäfte mit Internationalen Antwortscheinen, die damals zum Rückversand von Briefen aus dem Ausland dienten.
Tatsächlich existierte kein tragfähiges Geschäftsmodell: Ponzi verwendete die Einlagen neuer Investoren, um die versprochenen Gewinne an frühere Anleger auszuzahlen. Das System beruhte also allein auf einem fortlaufenden Zufluss frischen Kapitals – ein typischer Mechanismus des Schneeballsystems.
Im Spätsommer 1920 brach das Konstrukt zusammen, als immer mehr Anleger ihr Geld zurückforderten und die Zuflüsse neuer Investoren nicht mehr ausreichten, um die Auszahlungen zu bedienen. Der Betrug flog auf, Ponzi wurde verhaftet und später zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt.
Im Laufe der Wirtschaftsgeschichte kam es immer wieder zu spektakulären Betrugsfällen, die auf dem Ponzi-Prinzip beruhten – also dem fortlaufenden Einsatz neuer Anlegergelder zur Auszahlung früherer Investoren.
Das bekannteste Beispiel der Neuzeit ist der Fall des US-Finanzmanagers Bernie Madoff, der über Jahrzehnte ein Milliarden-Schneeballsystem betrieb und damit tausende Anleger weltweit schädigte
Beispiel-Szenario:
Ein Geschäftsführer (G) betreibt eine Investmentfirma, die hohe Renditen auf Immobilienprojekte verspricht. Tatsächlich werden die Auszahlungen an Altanleger ausschließlich aus den Einlagen neuer Investoren finanziert – ein klassisches Ponzi-System.
Als G erkennt, dass das System bald kollabiert, zieht er sich zurück, reicht seinen Rücktritt ein und übergibt die Geschäfte an Nachfolger. Diese führen das Unternehmen in gutem Glauben fort. Neue Anleger investieren weiterhin Kapital – bis das System zusammenbricht.
Ergebnis:
Nach der BGH-Entscheidung bleibt G persönlich haftbar.
Denn die späteren Verluste beruhen auf seiner früheren Pflichtverletzung – dem bewussten Weiterführen eines insolvenzreifen Systems ohne Insolvenzantrag.
Fazit aus dem Beispiel:
Die Haftung endet nicht mit dem Austritt, sondern erst, wenn der durch das Fehlverhalten geschaffene Gefahrenkreis beseitigt ist.
Rechtliche Bedeutung und Praxistipps für Geschäftsführer
Das Urteil aus 2025 verschärft die Pflichten und Haftungsrisiken von GmbH-Geschäftsführern erheblich. Wer in einer Krise untätig bleibt oder gar ein betrügerisches System mitträgt, bleibt haftbar – selbst nach Amtsniederlegung oder Abberufung.
Wichtige Lehren für die Praxis:
- Frühzeitiges Handeln bei Krisenanzeichen:
Bei drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung muss sofort ein Insolvenzantrag gestellt werden. Wer dies unterlässt und lediglich zurücktritt, handelt pflichtwidrig – mit persönlichem Haftungsrisiko. - Haftung für Folgeschäden:
Die Haftung erstreckt sich auch auf nachträgliche Schäden, wenn sie im Gefahrenkreis früheren Fehlverhaltens liegen. - Erbenhaftung möglich:
Auch Erben können für deliktische Schadensersatzansprüche in Anspruch genommen werden, wenn die Verfehlung fortwirkt. - Compliance und Dokumentation:
Unternehmen sollten interne Verfahren etablieren, um bei Geschäftsführungswechseln Risiken zu dokumentieren und abzuarbeiten.
Eine saubere Übergabe von Krisenfällen kann Haftungsfallen verhindern.
Fazit: Verantwortung über die Amtszeit hinaus
Das BGH-Urteil (II ZR 165/23) markiert einen Wendepunkt in der Geschäftsführerhaftung.
Es zeigt: Die Verantwortung des GmbH-Geschäftsführers endet nicht mit der Abberufung – sondern erst, wenn seine Pflichtverstöße keine Schäden mehr verursachen können.
Für die Unternehmenspraxis bedeutet das:
- Höchste Sorgfaltspflicht bei Krisenmanagement,
- konsequente Compliance-Strukturen,
- und ein stärkerer Fokus auf rechtssichere Amtsübergaben.
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