Das Konstrukt der „wirtschaftlichen Neugründung“: Aktuell oder ein Relikt?

Wenn es um die Gründung einer Gesellschaft geht, existieren seit langem mehrere Optionen. Zum einen kann auf die gesetzlich normierte, „klassische“ Methode zurückgegriffen werden und die Gesellschaft rechtlich neu gegründet werden. Weiterhin  besteht die Möglichkeit einen bereits bestehenden GmbH-Mantel für seine Zwecke zu übernehmen. Im Zuge der GmbH Mantelgründung sind zwei Möglichkeiten denkbar:

Die Vorratsgesellschaft:

In einer Grundsatzentscheidung hat der BGH 1992 die offene Vorratsgründung erstmalig anerkannt, soweit aus der Bezeichnung des Unternehmensgegenstandes eindeutig hervorgeht, dass die Gesellschaft als Mantel für eine erst später erfolgende Aufnahme des Geschäftsbetriebes dienen soll. Hierfür reicht aus, dass der Unternehmensgegenstand als „Verwaltung eigenes Vermögens“ betitelt wird. Wie der Name bereits andeutet, handelt es sich bei einer Vorrats GmbH um ein Vehikel, dass speziell gegründet und im Handelsregister eingetragen wurde um erst später mit einer, zum Gründungszeitpunkt vielleicht noch ungewissen, operativen Tätigkeit zu beginnen.

Die Mantelgesellschaft

In diesem Fall dient nicht eine für diesen Zweck speziell gegründete Vorratsgesellschaft als Mantel, sondern eine bereits bestehende Gesellschaft, welche zwar operativ nicht mehr tätig ist, jedoch auch noch nicht liquidiert wurde. Bezüglich der oft schwierig abzugrenzenden Frage, ob nun eine „leere Hülse“ oder ein aktives Unternehmen vorliegt hat der BGH ausgeführt, dass immer dann eine „leere Hülse“ vorliegt, wenn kein aktives Unternehmen betrieben wird, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebes in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpft.

Übertragen der Anteile an den Erwerber

In beiden Fällen folgt dann nach der Gründung als zweiter Schritt der sog. „Mantelkauf“. Im Zuge dessen werden alle Anteile der Gesellschaft an den Erwerber übertragen. Hierauf folgt im Zuge der „Mantelverwendung“, dass die Satzung mittels einer Änderung an das neue Unternehmen angepasst wird.

Um gewieften Gründern entgegenzuwirken, welche durch Verwendung einer Mantelgesellschaft die Umgehung der Gründungsregelungen suchten, wurde von der Rechtsprechung das Konzept der „wirtschaftlichen Neugründung“ entwickelt. Demnach stellt das Verwenden eines Mantels wirtschaftlich gesehen eine Neugründung dar, auf welche die Gründungsvorschriften des GmbHG mit samt der registergerichtlichen Kontrolle entsprechend anzuwenden sind. So muss auch bei der Verwendung einer Mantelgesellschaft die Versicherung erfolgen, dass die gesetzlich gebotenen Leistungen auf das Stammkapital erbracht wurden und sich diese endgültig in der freien Verfügung des Geschäftsführers befinden. Mit dieser Versicherung ist dem Registergericht zudem die Tatsache offenzulegen, dass ein leerer Gesellschaftsmantel verwendet wird. Durch registergerichtliche Prüfung wird die Deckung des satzungsgemäßen Grund- bzw. Stammkapitals im Zeitpunkt dieser Offenlegung sichergestellt. Bis zu der Offenlegung kommt das Prinzip der Unterbilanzhaftung zur Geltung.

So viel zu den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen. Doch was für einen Vorteil birgt die „wirtschaftliche Neugründung“ im Vergleich zu der „rechtlichen“ Neugründung und wenn ein solcher Vorteil bestand, hat dieser heutzutage noch Bestand?

Die zwei ausschlaggebendsten Argumente für die „wirtschaftliche Neugründung“ waren das Ersparniss von bürokratischen Aufwands und das Vermeiden von Zeitverlusten, da die Geschäfte sofort mit beschränkter Haftung aufgenommen werden können. Trotz dieser Vorteile sind die Gründungen unter Verwendung einer Mantelgesellschaft stark zurückgegangen.

Dies hat mehrere Gründe:

  1. Die Eintragung neu gegründeter Gesellschaften erfolgt dank des Einsatzes eines elektronischen Handelsregisters wesentlich beschleunigt.
  2.  Den Siegeszug der mit dem MoMiG neu eingeführten Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt).
  3. Die regide Rechtsprechung bezüglich der Offenlegungspflichten und der Haftungsrisiken.

Mögliche Gefahren bei Rückgriff auf eine bereits genutzte Mantelgesellschaft

Gerade wenn auf eine bereits genutzte Mantelgesellschaft zurückgegriffen wird ist oft höchste Vorsicht angeraten, denn es können erhebliche haftungsrelevante Altlasten vorhanden sein. Für Belastungen wie Geschäftsverbindlichkeiten, Pensionszusagen, hinterzogene Körperschaftssteuer oder auch Umweltlasten ist es nämlich egal, welches Unternehmen die Gesellschaft betreibt, da diese bei der Gesellschaft selbst verbleiben. Aber auch abgesehen von Altlastengefahren, kann die Mantelverwendung erhebliche Haftungsrisiken bergen, welche durch eine sehr strikte Rechtsprechung aufgeworfen werden. Gerade wenn die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung, aus welchen Gründen auch immer, unterbleibt, ergibt sich nach der Rechtsprechung bei entsprechender Anwendung der Unterbilanzhaftung eine zeitlich unbeschränkte Haftung der Gesellschafter, welche sich auch auf den Erwerber von Geschäftsanteilen erstreckt. Die Gesellschafter haften demnach im Falle des Scheiterns aufgrund des rein formellen Verstoßes bis zur vollen Befriedigung aller Gesellschaftsgläubiger persönlich (!) unbegrenzt. Besonders trifft diese Haftung kleinere Unternehmen, welche an sich keine Veranlassung haben einen Rechtsbeistand zu konsultieren und somit oft ungewollt gegen die Offenlegungsfrist verstoßen.

Fazit: Sowohl der Wegfall der praktischen Erwägungen, welche die Verwendung einer Mantelgesellschaft zu solch einem attraktiven Vehikel machten, wie auch die damit verbundenen enormen Haftungsrisiken sprechen dafür, nur in speziell gelagerten Einzelfällen auf die Mantel- bzw. Vorratsgründung zurückzugreifen.

Sollte man sich dennoch für diesen Schritt entscheiden, ist es ratsam einen geeigneten Rechtsbeistand hinzuzuziehen um Altlasten der Mantelgesellschaft rechtzeitig zu erkennen und keine Risiken hinsichtlich der Pflichten, welche mit der wirtschaftlichen Neugründung einhergehen, einzugehen.

Benno von Braunbehrens

Benno von Braunbehrens

Rechtsanwalt Benno von Braunbehrens befasst sich seit Jahren mit Themen rund um das GmbH- und Gesellschaftsrecht.

Nach seinem Studium an der Ludwigs-Maximilians-Universität mit Schwerpunkt Kapitalgesellschaftsrecht absolvierte er sein Referendariat an dem Oberlandesgericht München. Seine Ausbildung führte ihn u.a. zu einem Venture Capital Fond in Kopenhagen, wie einer großen Wirtschaftskanzlei in New York.
Benno von Braunbehrens