Insolvenzreife: Noch nicht vorliegenendes Prüfungsergebnis

In einer interessanten Entscheidung hat sich der Bundesgerichtshof mit der Frage auseinandergesetzt, ob allein das Anfordern eines Prüfungsberichts hinsichtlich der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft ausreicht, um den Geschäftsführer von seiner Haftungspflicht gem. § 64 GmbHG zu entlasten oder, ob dieser weiterhin das unverzügliche Vorlegen des Prüfungsergebnisses verlangen muss.

Hierzu hat das erkennende Gericht folgende Leitsätze veröffentlicht:

1. Verfügt der Geschäftsführer einer GmbH nicht über ausreichende persönliche Kenntnisse, die er für die Prüfung benötigt, ob er pflichtgemäß Insolvenzantrag stellen muss, hat er sich bei Anzeichen einer Krise der Gesellschaft unverzüglich unter umfassender Darstellung der Verhältnisse der Gesellschaft und Offenlegung der erforderlichen Unterlagen von einer unabhängigen, für die zu klärenden Fragestellungen fachlich qualifizierten Person beraten zu lassen.

2. Der Geschäftsführer darf sich nicht mit einer unverzüglichen Auftragserteilung begnügen, sondern muss auch auf eine unverzügliche Vorlage des Prüfergebnisses hinwirken.

BGH v. 27.3.2012 – II ZR 171/10

Gemäß § 64 GmbHG darf ein Geschäftsführer Zahlungen nach der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nur tätigen, wenn diese dem Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmanns genügen. Leistet der Geschäftsführer Zahlungen, die diesem Maßstab nicht genügen, ist er hinsichtlich dieser zum Ersatz verpflichtet. Der Geschäftsführer muss sich hierbei stets über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft vergewissern, was insbesondere die Prüfung des Vorliegens einer Insolvenzreife umfasst. Reicht die Kenntnis des Geschäftsführers für eine adäquate Prüfung nicht aus, muss sich der Geschäftsführer fachkundig beraten lassen und zudem das Ergebniss der Beratung einer eigenen Plausibilitätskontrolle unterziehen.

Liegen die objektiven Vorraussetzungen des § 64 GmbHG vor, wird zunächst widerleglich vermutet, dass das Tätigen der Zahlungen nicht dem Sorgfaltsmaßstabs eines ordentlichen Geschäftsmanns genügt. Nach der Rechtsprechung des BGH reicht das Hinzuziehen eines fachkundigen Beraters nicht aus, um die Vermutung zu widerlegen. Vielmehr muss der Geschäftsführer auch darauf hinwirken, dass das Ergebnis unverzüglich vorgelegt wird. Auch muss der Prüfungsauftrag gezielt darauf gerichtet sein, eine potentielle Insolvenzreife zeitnah aufzudecken. Ist der Prüfungsauftrag innerhalb eines weitergehenden Auftragsgebildes eingebunden, muss sich der Geschäftsführer den Umständen nach darauf verlassen dürfen, dass er bezüglich der Frage der Insolvenzreife vorab und unverzüglich unterrichtet wird.

Fazit:

Auch wenn der exakte Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit bzw. Überschuldung im Nachhinein von dem Gericht schwer festzustellen ist, was sich auch darin widerspiegelt, dass statistisch gesehen Insolvenzanträge im Schnitt 10 Monate nach Eintritt der materiellen Insolvenz gestellt werden, ohne dass Konsequenzen wie der § 15a InsO greifen, sollte sich ein Geschäftsführer keineswegs darauf verlassen, sondern einen klaren Prüfungsauftrag mit klaren Zeitrahmen erteilen. Um die Verschuldensvermutung des § 64 zu erschüttern, legt der BGH einen strengen Maßstab an und empfindliche Ersatzzahlungspflichten drohen.

Benno von Braunbehrens

Benno von Braunbehrens

Rechtsanwalt Benno von Braunbehrens befasst sich seit Jahren mit Themen rund um das GmbH- und Gesellschaftsrecht.

Nach seinem Studium an der Ludwigs-Maximilians-Universität mit Schwerpunkt Kapitalgesellschaftsrecht absolvierte er sein Referendariat an dem Oberlandesgericht München. Seine Ausbildung führte ihn u.a. zu einem Venture Capital Fond in Kopenhagen, wie einer großen Wirtschaftskanzlei in New York.
Benno von Braunbehrens